Zum Inhalt

Aktualisiert, ergänzt und überarbeitet …

 Im November 2018 erschien in Zusammenarbeit mit

Leopold KohrAkademie®, Salzburg

EF Schumacher-Gesellschaft für politische Ökologie e.V. München

das Buch

Menschliches Maß gegen Gier und Hass 

Small is beautiful im 21. Jahrhundert

von Michael Breisky

im Wiener Verlag Frank & Frei

unter ISBN 978-3-903236-18-9

Vorwort

Vier Wochen im Sommer 2016 brachten das Ende einer weltgeschichtlichen Epoche: 23.Juni: Brexit – die EU kaputt? 14.Juli: Nizza – erster islamistischer Massenmord ganz ohne Waffen; 15. Juli – Militärputsch im EU-Kandidatenland Türkei, 16. Juli: „Machtergreifung“ Erdogans; 20. Juli – die „Grand Old Party“ resigniert und nominiert Donald Trump für die US-Präsidentschaft –  der atlantische Graben wird immer tiefer.
Unter dem Auf und Ab der Tages-Politik rollt schon seit längerem eine gewaltige Grundwelle auf uns zu und bricht nun als Tsunami über uns herein. Europa als Mutter der Aufklärung hat sich gewandelt: es ist nicht mehr Exporteur von Demokratie, Menschenrechten und Stabilität, es ist vielmehr dabei zu resignieren und sich auf eine brüchige Festung zurück zu ziehen. Denn mehr und mehr Menschen der politischen Mitte sehen sich heute als Verlierer; sie drängen nun mit ihren Ängsten an die Macht – oder das, was davon geblieben ist. Die Epoche des Fortschritts durch Vernunft ist offenbar vorbei.
Zugegeben, nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 haben Populisten und Extremisten in Kern-Europa vorerst nicht mehr siegen können, und auch das Wirtschaftswachstum zog 2017 wieder ordentlich an. Deswegen ist aber keineswegs alles wieder “paletti”. Denn an der Missachtung der Grund-Übel unserer Zeit durch den Mainstream in Politik und Medien hat sich nichts geändert: Im Wesentlichen wird weiter an den Globalisierungs-Verlierern, am Stillstand der Umwelt- und Klima-Politik oder den Irrwitzen der internationalen Finanzpolitik vorbei geredet. Und in der Flüchtlings- und Integrationsdebatte wurden zwar viele Aspekte beleuchtet, nicht aber das, was den Völkern Europas am meisten unter den Nägeln brennt: der zerbrechende kulturelle Gemeinsinn.

Im Buch „Halbzeit im Kampf gegen den Mammon“, das 2015 in kleiner Auflage erschienen ist, habe ich gezeigt, wie man – trotz Tsunami – Demokratie und Europa ausbauen, aber auch gelungenes Leben finden kann. Zwei dramatische Jahreu später liegt es nahe, diesem Buch nun eine zweite Auflage folgen zu lassen. Im wesentlichen unverändert, wurde die Neuauflage für einige Glättungen, Präzisierungen und Kürzungen genutzt. Auch wurde dort, wo es sinnvoll war, auf zwischenzeitig eingetretene Ereignisse Bezug genommen; Neues ist etwa zu Europa, Populismus und Gemeinsinn eingefügt. Aus verlagsrechtlichen Gründen erscheint diese Version nun jedoch unter neuem Titel.

Was Paracelsus für die Medizin gesagt hat, gilt auch für die großen Ideen: Alles ist Gift, entscheidend ist die Dosis“. Der Philosoph des Menschlichen Maßes Leopold Kohr trifft damit den Kern dieses Buches: die Aufklärung hat vergessen, der linearen Vernunft mit dem Menschlichen Maß ihre Grenzen zu setzen. Daher sind viele „große Ideen“ – wie Demokratie und Toleranz, Markt und Globalisierung – ins Unmaß geraten. Denn überzogene Abstraktionen und Algorithmen entziehen diesen Ideen den Flankenschutz der Überschaubarkeit. Kurz: ein ständiges Mehr an Effizienz ist heute dabei an ihren Nebenwirkungen zu scheitern.

Nicht genug damit, ist nun im Zeichen der Gier eine Eigendynamik entstanden, die diese Exzesse bündelt – ich sehe das als den „Mammon“ unserer Zeit. Seine Diener geben in Politik-Management und Hoch-Finanz den Ton an. Es ist das ein Neo-Feudalismus, der sich hinter einem Panzer der Komplexität versteckt, und zu dem es angeblich keine Alternative gibt.

Diesen Panzer durchbricht ein Weltbild, das sich auf Überschaubarkeit und die Kooperation der Zivilgesellschaft stützt. In Weiterentwicklung der Ideen Leopold Kohrs, E.F. Schumachers, Martin Nowaks und Charles Eisensteins versuche ich hier eine solche Sicht zu entwerfen. So zeigt meine „Drei-Schritt-Methode“, wo jeweils das Menschliche Maß liegt; und wie mit strikter Regionalisierung sowie einer Reform der Geld- und Zinspolitik der Schritt von alternativlosem Frust zu gelungenem Leben gelingen kann. Es ist das eine stille Revolution „von unten“, die – noch immer außerhalb medialer Aufmerksamkeit – schon weit fortgeschritten ist, und die nach vielen erfolgreichen Pilotprojekten nun vor dem Durchbruch steht. Man muss sich nur trauen – Du, ich und unser Nachbar.

                     Inhalt

Idee und Maß

S. 11 Zwei Szenarien 

S. 17 Auf der Suche nach dem richtigen Feindbild:Die maßlos überzogenen Ideen; Der Mammon… ;...und seine Diener;

S. 28 Der Geist der Verbundenheit: Mutation der Menschheit?Quantenphysik als Türöffner des Geistes; Kooperative Intelligenz; Außensteuerung oder Innensteuerung? Vom Geist der Verbundenheit.

Mensch und Maß

S. 43 Die Vernunft und ihr  Ceteris-Paribus-Syndrom: Ein biologischer Exkurs: Der Wächter im Kopf; Der technische Fortschritt und sein ganzheitlicher Flankenschutz

 S. 49 Die Krücken der Vernunft:Der soziale Raum; Ganzheitliche Ordnungs-Systeme;Die neuen sozialen Medien.

S. 57 Die vielen Gesichter der Komplexität: Unterwegs mit der Titanic; die Komplexitäts-Treiber: Größenwachstum; Ort- und Zeitverlust; Neugier-Schwund; Ideologie; Einheitlichkeit; Komplexität ist nicht berechenbar.

S. 67 Die neue Aufklärung: Lineares Vernunft-Denken und Projektionen; Verstoß gegen Naturgesetze und soziale  Grunderfahrungen; Der Wendepunkt.

S. 74 Kritischer Punkt, Idee und Gegen-Idee: Der kritische Punkt; Drei-Schritt-Methode; Beispiele: Vertrauen und  Kontrolle; Toleranz und Identität; Wachstum und Erneuerung; Effizienz und Resilienz.

S. 84 Zwei Pioniere der Neuen Aufklärung (Leopold Kohr und E.F. Schumacher): Über den Menschen; Über Größe und Gesellschaft; Über Ideen; ;Über Wirtschaft und Gelungenes Leben; Über Entwicklung und Globalisierung.

Maß und Politik

S. 91 Oligarchie gegen Demokratie: Unterwegs zur  Post-Demokratie? Bedrohung durch Oligarchie; Feudalismus und Big Busines; Wahrhaftigkeit und Subsidiarität; Die Antwort des Populismus.

S. 110 Groß-Baustelle Demokratie: Die Grundlagen: Keine Alternative zur überschaubaren Demokratie;Subsidiarität;Rückkoppelung; „unten“ Demokratie und „oben“ Republik; “unten” Demokratie und “oben” Republik; Kultur und die  Frage nach dem Gemeinsinn.

S. 125 Groß-Baustelle Demokratie: Agenda der Bürger: Das virtuelle Dorf; Liquid Democracy; Zivilgesellschaftliche Teams; Die kulturelle Dimension; Medien-Arbeit; Tauschbörsen und Regionalgeld, Crowd funding und Reform der Marktwirtschaft; Virtuelle Pranger; Vom Steuer-Bürger zum Staats-Bürger. 

S. 132 Großbaustelle Demokratie: Die staatliche Agenda: Devolution;Subsidiarität auf Zeit; Staat und privat; Steuer-Politik; Liechtenstein-Modell: Steuer; Irrtums-Kontrolle; Sezessionsrecht.

Maß und Mammon

S. 141 Das Unmaß der neo-liberalen Globalisierung: Viele kritische Stimmen; Die unselige Symbiose zwischen Staat und Banken.

S. 146 Die vielen Funktionen des Geldes: Die Tausch-Funktion; Die Transport-Funktion; Die Koordinations-Funktion; Die Wertbewahrungs-Funktion; Spar-Funktion; Das Zins-Problem; Silvio Gesell.

S. 162Charles Eisensteins Ökonomie der Verbundenheit: Eisensteins Politik-Vorschläge; Die Wirkung von Eisensteins Elementen; Fazit.

Leben im Maß

S. 177 Die stille Revolution „von unten“:Die Leit-Prinzipien;Mit neuem Konsumverhalten selbst Politik machen; Die Zivilgesellschaft ist gefordert; Zinsfreie und andere  Alternativ-Finanzierungen; Die neue Landwirtschaft; „Angepasste Technologie“ ist humane Technologie;Gutes Leben: Beispiel selbst-bestimmte Altenpflege.

S. 195 Eigenwirtschaft ergänzt Marktwirtschaft: Gegenideen zur Marktwirtschaft;; Eigenwirtschaft als übergreifende Gegenidee; Das psychologische Paradox; Grundbedürfnisse und ihre Abgrenzung; Markt- und Eigenwirtschaft im Gleichgewicht.

S. 206 Die Wiederentdeckung der überschaubaren Region: Die zivilgesellschaftliche Region; Die zentrale Rolle erneuerbarer Energien; Zivilgesellschaft, Staat und Steuer auf Zeit.

S. 212 Nationalstaat und Zivilgesellschaft zwischen lokal und global: Rückbau des Nationalstaates? Die zwei Säulen der Politik; Im Spannungsverhältnis ist Überschaubarkeit entscheidend;Die Rolle der regionalen Parteien.

S. 222 Europa im Maß: Denk’ ich an Europa in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht! Was kann die EU noch retten? Migration und Asyl – eine Existenzfrage der EU.Eine neue Rolle für die Regionen in der EU; Die Eurokrise als Folge falscher Regional-Politik; Ausweg: regionale Wirtschafts-Kreisläufe;Ausweg: alternatives Wirtschaften.

S. 256 Rettung aus Süd-Europa?: Rundum Düsternis, aber ….; Die Letzten werden die Ersten sein: konkrete Beispiele.

S. 266 Halbzeit: Zeit, Demokratie und der fehlende Brückenschlag; Small Bang und Resilienz.

Endlich Gelungenes Leben

S. 275  Was ist Gelungenes Leben?Die spirituelle Dimension; Auf dem Weg zum Homo Empathicus;Ausblick; Fazit.

S. 297 Literatur

Leseprobe:

    Idee und Maß

Zwei Szenarien

Allein gelassen, reiten sich alle großen Ideen zu Tode; Mäßigung finden sie nur in der Begegnung mit etwas Anderem.  Das ist ein ehernes Gesetz des Universums.

Der Planet Erde im Sonnen-System der Milchstraße zeigt das sehr anschaulich: Dort hat die Spezies der Menschen – wohl mit leiser Ironie nannte sie sich „Homo sapiens“, ja sogar „Homo sapiens sapiens“ – zunächst sehr unterschiedliche Formen des Zusammenlebens entwickelt und dabei ein recht stabiles Gleichgewicht eingehalten. Das begann sich zu ändern, als man noch einige Jahrhunderte vor Beginn ihrer Zeitrechnung auf den eigenartigen Gedanken kam, dass Geist und Materie nichts miteinander zu tun hätten. Rund 2000 Jahre später wurde dieser Gedanke auf die Spitze getrieben, als die Bewohner eines kleinen, Europa genannten Erdteils begannen, ihren Verstand dem Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Umwelt zu entziehen und statt dessen eine Reihe von abstrakten Erfolgsprinzipien zu entwickeln. Sie nannten diese Epoche „Aufklärung“ und die neue Praxis „Ideen“ oder „Abstraktionen“. Tatsächlich gelang es den Europäern und dann auch ihren  Ablegern in Nord-Amerika und anderen Weltgegenden, mit dieser Art des Vernunft-Denkens viel zu bewegen. Wissenschaft und Technik blühten auf, individuelle Menschenrechte und Demokratie wurden entwickelt. Wohl am deutlichsten war der Erfolg am enormen Bevölkerungs-Wachstum ablesbar. So stand innerhalb von drei Jahrhunderten der gesamte Erdball unter den bestimmenden Einfluss dieser „Aufklärung“. Aber: mangels Begegnung mit ähnlich starken Prinzipien maßlos geworden, führte dieses Erfolgsprinzip zur Vernachlässigung der Umwelt und seit der Wende zum dritten Jahrtausend zu immer größeren Umweltkatastrophen.

Gleichzeitig kam eine größere Katastrophe aus dem Bereich, in dem die Abstraktionen am weitesten getrieben wurden, nämlich aus dem Finanzwesen. Dieses hatte in der menschlichen Gesellschaft zwar schon immer eine große Rolle eingenommen, war aber nun derart  komplex geworden und von den Bedürfnissen der Menschen entrückt, dass schon ein vergleichsweise nichtiger Anlass seinen Zusammenbruch auslöste. Durch die zentrale Rolle der Finanz wurden umgehend auch alle anderen Tätigkeitsbereiche getroffen, darunter vor allem die über Groß-Organisationen abgewickelte Versorgung dicht besiedelter Regionen mit Nahrung, Energie und Information. Ihr Zusammenbruch hatte Hunger, Chaos und Gewalt zur Folge, dann auch Flüchtlingsströme, Seuchen und noch mehr Gewalt.

Um das Elend voll zu machen, traten dann auch  die Anhänger eines anderen, ins Unmaß getriebenen Erfolgsprinzips auf: Religiöse Fundamentalisten jubelten über diese Endzeit-Stimmung, verübten immer schrecklichere Terrorakte, schafften sich Zugriff auf Nuklearwaffen und setzten sie schließlich auch ein. Ein großer Teil der Welt-Bevölkerung ging dabei zugrunde, und auch die wenigen Überlebenden konnten keine Erholung erreichen. Wegen der verseuchten Umwelt samt Klima-Erwärmung waren andere Spezies Gewinner dieser Mega-Katastrophe, nämlich zuerst die Ratten und dann die Termiten.

So ungefähr könnte ein Bericht außerirdischer Wesen über das Schicksal von Erde und Mensch aussehen. Aber zunächst zwei Vorfragen, bevor diese Thematik näher beleuchtet wird: Glauben Sie auch, lieber Leser, dass der konkrete Mensch im Zentrum der Politik stehen soll? 

Und soll man sich dann nicht auch dem demokratischen Ideal verpflichten und jede Fremdbestimmung mit all ihren offenen oder verdeckten Formen ablehnen – sei es nun mächtige Ausnahme-Persönlichkeiten, Experten oder Eliten, die sich immer feudalistischer geben und zu Oligarchien mausern? Wenn Sie die beiden Fragen nicht mit einem klaren Ja beantworten können, werden Sie mit „Menschliches Maß“ wenig anfangen können – sparen Sie sich daher die weitere Lektüre dieses Buches  und machen Sie sich einen schönen Tag –  es könnte ja Ihr letzter sein! 

Nach dieser Verabschiedung von Demokratie-Gegnern kehren wir naive Idealisten zurück zum Katastrophen-Szenario: Es mag unserem Bauchgefühl widersprechen, sein Eintritt ist aber nach den Regeln der Vernunft höchst wahrscheinlich; ist  es doch die logische Fortschreibung der bisher klar zutage getretenen politischen Trends  – und es entspricht ja auch ganz den Erfahrungen der biologischen Evolution mit ihrem Auf und Ab der Spezies.

Der Vernunft zum Trotz muss es aber doch nicht ganz so schlimm kommen. Mit „G.G.“ – das je nach Weltanschauung für gigantisches Glück oder Göttliche Gnade stehen mag – könnte ein zukünftiger, aber durchaus irdischer Bericht über die Folgen der Finanzkrise etwa so ausschauen:

 “Die 2008 offen zutage getretene Finanzkrise wurde zu einer schweren Dauerkrise, der sich keine Weltgegend entziehen konnte. Zwar wurde ein Total-Absturz des Finanz-Systems verhindert, es gelang aber nicht, Gesellschaft und Wirtschaft wieder auf gesunde Beine zu stellen. Grund dafür war vor allem die Schwäche demokratisch gewählter Regierungen: Sie wussten zwar, dass einschneidende Reformen notwendig waren, die hauptsächlich zu Lasten der Finanzwirtschaft gehen mussten; sie fürchteten aber, den Konflikt mit der übermächtig gewordenen internationalen Hoch-Finanz nicht gewinnen zu können – jedenfalls nicht  innerhalb einer Legislaturperiode. Vor allem um ihre Wiederwahl besorgt, verweigerten sie diese Reformen und verausgabten sich weiter mit Symptom-Kuren. Immerhin blieb dabei die öffentliche Sicherheit trotz zahlreicher Ausschreitungen verarmter und arbeitsloser Massen weitgehend aufrecht, was auch die notdürftigste Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung, Energie und Information ermöglichte.

In dem Maße, wie die Unfähigkeit der Politik zur Entschärfung der Krise immer deutlicher wurde und die allgemeine Stimmung in stille Verzweiflung abrutschte (obwohl sich manchmal einzelne Schwalben statistischen Wachstums zeigten, blieben sie nicht lange genug, um einen Wirtschafts-Sommer verkünden zu können),  suchten vor allem Arbeitslose und Globalisierungsverlierer Abhilfe außerhalb etablierter Politik – und wurden bei sich selbst fündig. Sie übernahmen viele Ideen und Methoden der Zivilgesellschaft, wie sie sich mit dem Siegeszug des Internets entwickelt hatte; konkret gingen sie zu Kooperationsmodellen über, bei denen das Verhältnis zwischen Leistung  und Gegenleistung vorläufig offen bleiben konnte. So gründeten sie die verschiedensten Tauschkreise und darauf aufbauend bald auch Alternativ-Währungen in der Form zinsfrei zirkulierender Gutscheine. Zunächst konnte mit diesen primitiv anmutenden Methoden nur ein Überleben auf sehr bescheidenem Niveau erreicht werden. Nach einiger Zeit änderte sich das jedoch überraschend schnell zum Besseren als Folge zweier  Entwicklungen:

Zum einen zog man aus dem distanzierten, aber leidlich funktionierenden Nebeneinander von Finanz- und offener  Tauschwirtschaft die richtigen Schlüsse: Jedes der beiden Systeme hatte seine besonderen Stärken und Schwächen. So entwickelte sich allmählich ein konstruktives Spannungsverhältnis. Weil dies den menschlichen Bedürfnissen offenbar bestens entsprach,  entdeckte man bald auch den Reiz, in gleicher Weise mit anderen übersteigerten Erfolgs-Prinzipien umzugehen: Man setzte auch sie in ein Spannungsverhältnis mit anderen Prinzipien, die auf den ersten Blick konträr zu sein schienen, tatsächlich aber sich ergänzten: Markt-Versorgung mit kooperativer Eigen-Versorgung, kapitalintensive Hoch-Technologie mit arbeitsintensiver „mittlerer“ Technologie, global mit lokal, Wachstum mit Fließgleichgewicht, Toleranz mit Identität, repräsentative mit direkter Demokratie – aber auch Demokratie mit Hierarchie. Dabei steckte in fast allen dieser Spannungsverhältnisse der Gegensatz zwischen linearer Effizienz und ganzheitlicher Robustheit (Resilienz).

Kurz, die praktischen Vorteile des Menschlichen Maßes wurden mehr und mehr überschaubar und erleichterten damit die politischen Entscheidungen.

Zum anderen entdeckte man die schon vergessen geglaubte Ur-Freude an Selbst-Geschaffenem und an der Freiheit von undurchschaubaren Strukturen. Ein Geist der Verbundenheit machte sich unter den Anhängern dieser Einstellung breit, der bald auch nach außen ausstrahlte: Wo diese Freude auftauchte und die allgemeine Düsternis der Dauerkrise so deutlich durchbrach, regte sie immer mehr Menschen zur Nachahmung an – jeder wollte nun mehr singen und lachen, mit seinen Nachbarn  im großen Palaver lang und theatralisch debattieren, Kinder um sich haben, gut gärtnern, kochen und essen sowie besseren Sex haben – und mit dem Menschlichen Maß war das alles durchaus möglich geworden!

Spätestens jetzt muss klargestellt werden, dass apokalyptische Katastrophen mit anschließender langer Dauerkrise nicht nur aus einem exzessivem Finanzwesens heraus entstehen können. Genauso möglich ist, dass Cybercrime, Terror oder auch nur die Dummheit von Akteuren andere Bereiche höchster Komplexität wie das Internet oder den internationalen Strom-Verbund zum Entgleisen bringen – wobei als krasse Dummheit auch gelten muss, wo man glaubt in fernen Regionen „begrenzte Kriege“ beginnen zu können.

Wie auch immer, ich bin überzeugt, die Bedrohung der Menschheit liegt heute in der Maßlosigkeit dessen, was sie als ihre großen Ideen und Erfolgsprinzipien ansieht; und wirklich menschenwürdig kann ein Überleben nur sein, wenn  wir den überall wehenden Geist der Verbundenheit wieder finden und stärken; er ist es ja, der Qualität über Quantität stellt und Kooperation über Wettbewerb; und der damit den Weg zu gelungenem Leben weist. Damit sich dieser Geist entfalten kann, braucht er jedoch äußere Strukturen, die im Rahmen des Menschlichen Maßes liegen. Daher muss es zuerst darum gehen, eine praktikable Methode zu entwickeln, die solche Strukturen fördert.  Das gelingt am besten, wo wir uns ein überschaubares Umfeld schaffen. Es ist aber auch dort möglich, wo wir darüber hinaus gehen müssen und uns nun an abstrakten Erfolgsprinzipien orientieren, solange wir diese Prinzipien in einem lebendigen Spannungsverhältnis halten; wo wir also Erfolgsprinzipien mit ihren gegensätzlichen, sich aber ergänzenden Prinzipien konfrontieren und dann versuchen, beide  in konkreten Situationen im Gleichgewicht zu halten.

 Wie rasch dieser Weg sich auch durchsetzen kann, ist freilich eine andere Frage. Horror-Szenarien werden die Menschen wohl kaum dazu veranlassen können. Auch auf die Politik – also auf  „von oben“  verordnete Maßnahmen – wird man kaum warten wollen. Wie gesagt, vor die Wahl gestellt zwischen etwas Neuem, dessen positive Wirkung erst nach den nächsten Wahlen allgemein sichtbar wird, und eingefahrenen Praktiken des puren Machterhalts, werden sich Politiker regelmäßig für Letzteres entscheiden. Die Umkehr muss daher „von unten“ kommen, anfangs ganz an der Politik vorbei und klein, dabei ganz auf sich selbst gestellt; soll es das Erleben von schöpferischer Freude sein, das den Durchbruch schafft: Aus den ersten Erfolgserlebnissen der Arbeitslosen, „dem System“ ein Schnippchen  geschlagen zu haben, soll sich  die Aussicht auf ein „gutes Leben“ entwickeln – denn genau das ist ja durchaus in Reichweite wirklich selbst-bewusster Menschen. Ist dieser Wagen einmal gut in Fahrt, kann man sicher sein: die Politiker werden sich sogleich aufs Trittbrett schwingen und gerne die notwendigen legistischen Maßnahmen ergreifen.

Nun kann ich auch zum Zweck dieses Buches kommen: Wie gesagt, wird bis zum allgemeinen Wirksamwerden des Menschlichen Maßes  wohl „einige Zeit“ vergehen müssen. Dass dieser Zeitraum möglichst kurz bleibt  und auch für den Fall des Zusammenbruchs aller gängigen Finanzsysteme ein Sicherheitsnetz da ist – dafür soll hier ein Beitrag geleistet werden. Ich bin auch überzeugt, dass dies schneller geht, und das Vertrauen in den Geist der Verbundenheit rascher hergestellt sein wird, als es sich die meisten „Realisten“ unserer Zeit vorstellen können.

menschliches-mass.com (c) by Michael Breisky 2015